Charbrow heute

Das Gut Charbrow wurde zusammen mit den Ländereien und Nebenbetrieben von Adlig Freest vom Ende des zweiten Weltkrieges bis Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts als polnisches Staatsgut geführt. Sitz der Gutsverwaltung war hierbei das Gutshaus in Charbrow.

Geographische Lage
Der Ort und das Gut Charbrow befinden sich ca. 100 km westlich von Danzig und ca. 10 km von der Ostseeküste in der Republik Polen. Aus Westen kommend errreicht man den Ort, der heute den Namen Charbrowo trägt, indem man von Stettin aus Richtung Danzig fährt und in der ehemaligen Kreisstadt Lauenburg Richtung Norden nach Leba fährt.
Die ehemaligen Ländereien des Gutes werden im Norden durch den Lebasee und die Lonske-Düne - eine der größten Wanderdünen Europas - begrenzt. Der See und die Düne gehören heute zum Biosphärenreservat "Slowinski Park".
Die Region ist durch die letzte Eiszeit geprägt und stellt eine typische Endmoränenlandschaft dar.
Fährt man von Süden kommend in den Ort sieht man als erstes die Kirche des Ortes mit der 750-jährigen Eiche, die in einer Straßenbiegung auf einem kleinen Hügel steht.

Die Kirche und das Pfarrhaus
Die Kirche wurde 1669 erbaut und stand bis 1945 unter dem Patronat der Familie.
Der Erhaltungsstand der Kirche und des gegenüberliegenden Pfarrhauses ist als sehr gut zu bezeichnen, was nicht zuletzt ein Verdienst des jetzigen polnischen Pfarrers ist. Dieser hat vor einigen Jahren das ursprünglich aus Holzschindeln bestehende Dach der Kirche gegen eines aus Blech austauschen lassen, da ersteres inzwischen undicht geworden war. Des weiteren wurden die Kirchenbänke durch neue ersetzt.
Das Patronatsgestühl aus Eichenholz, welches ursprünglich im Altarraum gestanden hat ist verrottet und konnte nicht mehr gerettet werden. Ansonsten finden sich in der Kirche noch viele Gegenstände aus der Zeit vor 1945. Hier sind unter anderem die bis auf obige Punkte nahezu unveränderte Einrichtung inklusive der Orgel, dem aus Eichenholz geschnitzten Taufbecken mit einer Darstellung Johannes des Täufers, der Votivaltar und ein Kerzenleuchter zu nennen, der von der Familie anläßlich einer Trauung gespendet wurde. An den Wänden der Kirche finden sich diverse Sargdecken von Mitgliedern der Familie, die in der ersten Familiengruft unter dem Altarraum bestattet wurden.
Eine wertvolle in Leder gebundene Foliantbibel, die bis 1945 in Benutzung war, wird derzeit im Fundus der Heimatstube des Heimatkreises Lauenburg in Pommern verwahrt, welche sich im Rathaus der Stadt Gummersbach befindet.

Das Pfarrhaus wurde vom jetzigen Pfarrer nach langem Leerstand in mehrjähriger Eigenleistung und mit Hilfe der Gemeindemitglieder vor dem Verfall gerettet und seiner ursprünglichen Nutzung wieder zugeführt.

Das Gutshaus und die Nebengebäude
Dank des Umstandes, daß Charbrow seit 1945 Sitz der Gutsverwaltung für die ehemaligen Güter Charbrow und Adlig Freest war, sind in den vergangenen Jahrzehnten alle zur Erhaltung des Gutshauses notwendigen Arbeiten durchgeführt worden.
Im ehemaligen Wirtschaftflügel befinden sich heute sechs Wohnungen, im "Witwenflügel" zwei Wohnungen. Das Haupthaus wurde entsprechend der Bedürfnisse zum Bürotrakt umgestaltet. Die ehemalige Einrichtung ist ausnahmslos nicht mehr existent.
Von den Nebengebäuden wurden das am Haupthaus befindliche Gewächshaus, eine Scheune, einer der beiden Pferdeställe, die Brennerei und der Schafstall abgerissen. Der ehemaligen Tennisplatz am süd-östlichen Ende des Parks dient heute als Fundament für einen Geräteschuppen.
Das Gutshaus wird von den Bewohner des Ortes Charbrowo liebevoll "das Schloß" genannt und befindet sich, wie bereits vor 1945, unter Denkmalschutz. Die Grundmauern des Gutshauses sollen auf das 16. Jahrhundert datiert sein.

Der Schloßpark
Von der ehemaligen Anlage des Schloßparkes im englischen Stil ist nichts erhalten geblieben. Bäume wurden gefällt und die Rosenbeete und Rasenanlagen wurden zu Gemüsebeeten ähnlich einer Kleingartenkolonie umfunktioniert. Die Begrenzungen des Parkes mit dem Gutshaus im Westen, der alten Feldsteinmauer im Norden, dem Mühlenbach im Süden und dem kleinen Wäldchen im Osten, welches das Mausoleum einfaßt sind allerdings noch zu erahnen.

Das Mausoleum
Nachdem die erste Familiengruft, die sich unter dem Altarraum der Kirche befand, im achzehnten Jahrhundert keinen weiteren Platz mehr bot, wurde am östlichen Ende des Parkes ein Mausoleum errichtet, welches von da an den Mitgliedern des Charbrower Zweiges der Familie als letzte Ruhestätte diente.
Als letztes Mitglied der Familie wurde Paul von Somnitz 1941 in ihm beigesetzt. Sein Sohn Ulrich-Gottfried von Somnitz, der infolge der Kriegsereignisse 1943 verstarb, wurde im Park beigesetzt.

In den Nachkriegsjahren wurde das Mausoleum und die in ihm enhaltenen Särge mehrfach aufgebrochen, weshalb die Gebeine der dort beigesetzten Familienmitglieder 1991 auf den neuen Charbrower Friedhof umgebettet und das Mausoleum versiegelt wurde.



Der nachfolgende Text beschreibt das Gut Charbrow in seinem Zustand bei Ende des zweiten Weltkrieges.

Fideikommiss Charbrow und Speck
Kreis Lauenburg / Pommern

Der Besitz Charbrow wurde 1660 bereits vom Kanzler Lorenz-Christoph von Somnitz gekauft. Er erbaute die Kirche 1669.

Die Größe betrug 3445 ha, der Boden war sehr unterschiedlich, Lehm, sandiger Lehm, lehmiger Sand, sandiges und reines Moor, Wiesen. Von diesen 3445 ha waren verpachtet rund 697 ha, an Gut Speck und den Nachbargemeinden, teils freihändig, teils im Wege der Ansiedlersiedlung.

Hauptanbaufrucht war Roggen und Kartoffeln, wenig Hafer, Gerste und Weizen. Für eigenes und Deputatvieh wurden Wrucken und Kohlrüben angebaut. Die Wiesen lagen im Lebatal und am Lebasee. (Urstromtal der Weichsel) Sie befanden sich in guter Kultur. Zwei elektrische Pumpwerke - zeitweise auch als Windmotor - sorgten für Ableitung des überschüssigen Wassers. Jährlich wurden ca. 25 ha Wiesen, vor Neusaat, mit Hanf bestellt, der sehr gute Erträge brachte.

Viehbestand: 64 Pferde, 18 Zugochsen, über 300 Stück Rindvieh, 245 Schweine, über 300 Merino-Schafe, Geflügel und Bienen.

Kraftmaschinen: drei Trecker, Marke Hannomag, davon zwei gummibereift, einer eisenbereift mit Verbreiterungsreifen, zwei Personenautos (Opel u. DKW), sowie sämtliche maschinellen Einrichtungen, Motoren und landwirtschaftliche Maschinen.

Gebäude: Das Gutshaus hatte 37 Zimmer und 2 Küchen. 3 hohe Fenster des Saales ließen den Blick in das 1 ½ Stockwerk hohe Treibhaus mit alten Palmen, Camelienbäumen und sehr alten, großen Azaleenbüschen schweifen. Der Flügel wurde erst 1902 angebaut, seit damals war das Gutshaus mit Zentralheizung versorgt und wurde im Laufe der Zeit mit allen modernen Zivilisationseinrichtungen versehen.
Das Gemeindehaus hatte 2 Wohnungen und einen Versammlungssaal.
39 Einzelhäuser mit 75 Wohnungen für Gutsangestellte und Deputanten, dazu entsprechend Viehställe und sonstiges Nebengelaß waren mit wenigen Ausnahmen massiv und hatten teils Ziegel- teils Pappdach. Die Hofgebäude des Gutes Charbrow brannten ca. 1895 ab und sind erst nach dieser Zeit neu aufgebaut.
Die Wohn- und Stallgebäude mit Scheunen von den Vorwerken Elbengrund und Friedrichshof, sowie Anbau Brill waren mit Äckern und Wiesen an die Landwirte verpachtet. Im Dorf Charbrow waren die Gastwirtschaft, Bäckerei und Tischlerei, alle mit Ställen und Landwirtschaft verpachtet.

Nebenbetriebe waren das Vorwerk Karlshof als landwirtschaftlicher Betrieb mit eigenem Vieh- und Maschinenbestand.
Försterei Heide hatte außer dem Forsthaus auch Deputatwohnungen und große Jungviehställe.
Das Sägewerk Heide, Baujahr 1934, war ausgestattet mit Lokomobile zum Antrieb des Vollgatters, Hobel- und Spundmaschinen, Kreis- und Pendelsäge. Der Einschnitt betrug jährlich 3500-4000 Festmeter Langholz. Dazu gehörte auch ein großer, teils überdachter Lagerplatz.
Die Ziegelei wurde 1900 gebaut, hatte einen Ringofen und die jährliche Produktion war ca. 500.000 bis 600.000 Mauerziegel.
Die Brennerei stand seit 1890/96. Sämtliche Apparate und Rohrleitungen wurden 1928-1930 in Kupferausführung neu eingebaut. Es befand sich in der Brennerei ferner ein Pumpwerk, das den gesamten Gutsbetrieb, sowie die verpachtete Gutswirtschaft und ein Teil der Deputatwohnungen mit Wasser versorgte. Auch ein Dämpfer für Kartoffeln zum Silieren für die Schweinemast war vorhanden. Das Brennrecht betrug jährlich 107.600 Liter Weingeist.
Schmiede und Stellmacherei befanden sich mit allen nötigen Maschinen und Geräten auf dem Gutshof.
Die Gärtnerei hatte 2 Gewächshäuser, je 20 Meter lang und Frühbeete. Sie belieferte zum großen Teil das Kurhaus, Hotels und den Wochenmarkt von Ostseebad Leba.

Forst: Etwa 107 ha der Forstbestände stockten auf Mineralböden und etwa 250 ha auf Moorböden. Ca. 20% der Baumbestände hatten ein Alter von 100-160 Jahren, ca. 30% ein solches von 60-100 Jahren, ca. 20% von 20-60 Jahren und ca. 30% waren Dickungen und Moorkulturen unter 20 Jahren, zum Teil Moormeliaration und Aufforstung durch den Göringplan. Außerdem hatten wir Torfstich für persönlichen und Deputatbedarf.

Die Zahl der ständigen Arbeitskräfte betrug 150-155, zusätzlich arbeiteten in der Forst in den Frühjahrsmonaten ca. 150 Personen in den Kulturen, und in etwa der gleichen Höhe zur Zeit der Kartoffelernte auf den Feldern.

Die Verkehrslage war gut. Die Entfernung zu den Verladebahnhöfen Freest und Fichthof betrug je 4 km, nach Leba 9 km und zur Kreisstadt Lauenburg 19 km.

Der alte Name des Guts- und Bauerndorfes Charbrow wurde auf Anordnung der damaligen Regierung 1938 in „Degendorf" umbenannt. Das Gut durfte sich „Gut Karbrau" in Degendorf nennen, ebenso „Schutzforst Karbrau". Zu der Zeit wurden auch die Fideikommisse aufgelöst, und Charbrow auf Betreiben des Paul von Somnitz unter das Erbhofgesetz gestellt.

Das Gutshaus stand unter Denkmalschutz, beherbergte sehr wertvolle alte Stilmöbel, Gemälde, Porzellan, Silber, Uhren, Waffen und Bücher. Diese Gegenstände waren Bestandteil der „von Somnitz'schen Kunst- und Altertumsstiftung". Alte Ausgrabungen aus dem Moor und am Lebasee - darunter auch Wikingerschiffe - sowie sehr wertvolle alte handschriftliche Bücher und Urkunden befanden sich im Archiv für Denkmalspflege in Stettin und gingen ebenso wie alle Werte in Charbrow durch Kriegseinwirkung und -folgen verloren.


Die letzen Jahre bis 1945 und die Nachkriegszeit aus der Sicht der
Witwe von Ulrich-Gottfried von Somnitz

(Seit 1945 ist) (..) Charbrow polnisches Staatsgut, das von Somnitz'sche Wappen prangt in unseren Wappenfarben - blau und gelb - über dem Eingang des Gutshauses. Ebenso befinden sich Wappen, Erbkämmererschlüssel und das polnische Hoheitszeichen farbig auf den steinernen Pfosten der Hofeinfahrt und dem Weg über den Bach zur Kirche.
Als ich 1933 heiratete lebte mein Schwiegervater, Paul von Somnitz, Regierungsrat a.D., stellvertretender Landrat des Kreises Lauenburg, Mitglied des ehemaligen preußische Herrenhauses noch. Er starb 1941, im Alter von 85 Jahren.
Mein Mann Ulrich-Gottfried von Somnitz, der Charbrow bewirtschaftete, wurde als Leutnant der Reserve bei Kriegsbeginn sofort eingezogen und nach dem Tod seines Vaters nur kurze Zeiten für Bestellung und Ernte freigestellt. 1943 verunglückte mein Mann während eines Fortbildungskurses für Kompanieführer in Doberitz tödlich und ruht in Charbrow.
Erbe war unser ältester Sohn Carl-Heinrich, erst 9 Jahre alt. Ich mußte die Bewirtschaftung übernehmen. Das war in damaliger Zeit besonders schwer, doch wurde ich von allen Angestellten unterstützt. Ganz besonders von unserem treuen Rechnungsführer Herrn Karl Strauß, der als Schwerkriegsbeschädigter (1914-1918) nicht mehr eingezogen wurde. Er arbeitete fast 25 Jahre bei uns.
Als Ersatz für eingezogene Land- und Forstarbeiter hatten wir Kriegsgefangene - Franzosen, Polen, Russen - sowie Russenfrauen und -mädchen. Erstere arbeiteten hauptsächlich in der Forst und im Sägewerk. Bei den Russen brach Fleckfieber aus.
So evakuierte ich 3 meiner 6 Kinder nach Mecklenburg zu meinen Eltern. Unser Haus und Hof waren mit Flüchtlingen aus Stolp und den Ostpreußentrecks überfüllt.
März 1945 brachte mich die Wehrmacht mit 3 Kindern, 2 Nichten und mit Familien benachbarter Güter nach Danzig. Von dort wurden wir über die Flüchtlingskommision im Bunker eines Kohlenfrachters, - auf Deck waren die Verwundeten untergebracht - nach Dänemark verschifft. Zu der Zeit war Dänemark noch von der Wehrmacht besetzt, so wurden wir in Viborg in die Landwirtschaftsschule eingewiesen. Die Kranken, darunter auch die Kinder - auch 2 von mir - im Lazarett versorgt. Nach dem Zusammenbruch kamen wir Flüchtlinge in verschiedene kleinere Barackenlager. Wir wurden human versorgt. Frühjahr 1947 erhielt ich mit meinen Kindern Zuzug in die sowjetisch besetzte Zone nach Bad Doberan zu meiner Mutter - mein Vater war inzwischen gestorben. Nach über 3 Jahren war ich wieder mit meinen 6 Kindern, 4 Jungen und 2 Mädchen, vereint. (...) 1951 heiratete ich nach Westberlin. Nach dem Tod meines 2. Mannes (...) 1954 arbeitete ich bei der Evangelischen Bahnhofsmission, dann 15 Jahre bei der Johanniter Hilfsgemeinschaft Berlin. (...)